Lebendigkeit!
Lebendigkeit verbindet uns miteinander. Wir sind Lebendigkeit und Teil einer lebendigen Welt. Lebendigkeit gibt allem für uns Bedeutung und ist Motivation unseres Wirkens. Und gleichzeitig können wir von der Erfahrung von Lebendigkeit getrennt sein und Lebendigkeit massiv beeinträchtigen, in unserem Leben und in unserer Mitwelt – unser Menschsein ist geprägt von Widersprüchen.
Ist bin fasziniert davon, lebendig zu sein! Wahrnehmen zu können! Fühlen zu können! Denken zu können! Mich bewegen, handeln, Kontakt aufnehmen und in Verbindung sein zu können! Inneren Frieden, Liebe und Fülle erfahren zu können!
Wenn ich aufmerksam bin, sind es die scheinbar selbstverständlichsten Phänomene, die unglaublich spannend sind! Was ist das Bewusstsein, das ich bin, in dem alles auftaucht, was ich erfahre und wie entsteht es? Gibt es etwas außerhalb dieses Bewusstseins, wenn doch alles, was ich wahrnehmen kann, innerhalb meines Bewusstseins ist, und niemand etwas außerhalb seines Bewusstseins wahrnehmen kann? Wie bildet das Zusammenspiel meiner Aufmerksamkeit mit dem Strom meiner Sinneswahrnehmungen, Gedanken und Gefühle mein Erleben von Wirklichkeit und wie ich es gestalte?
Mich bewegt, wie wir alleine und gemeinsam unser Leben und unsere Welt erschaffen und gestalten! Wie wir alle auf der Suche sind, uns im Grunde einfach wohl fühlen wollen – und wieviel Freude aber auch Leid dabei entstehen! Herausforderungen sind ein natürlicher Teil unseres Lebens, Schmerz ist sinnvoll und wichtig – und gleichzeitig entstehen viele unserer Probleme und unser Leid aus Unbewusstheit und wären oft vermeidbar, wenn wir uns bewusster unserer Innenwelt zuwenden würden und unserer Außenwelt im Hier und Jetzt auf Basis klarer Beobachtungen, bewussten Denkens und akzeptierenden Fühlens, Verständnisses und Mitgefühls begegneten. Ich bin bewegt und berührt davon, wie wir es persönlich und gemeinschaftlich oft so schwer haben, es uns oft schwer machen, wir so kämpfen mit unseren Gedanken, Gefühlen, Bedürfnissen – mit uns selbst, miteinander, unserer Mitwelt!
Mich treibt an, die Ursachen für Leid und Wohlergehen in unserem Leben und unserer Welt zu verstehen und alternative Wege zu finden, zu leben und weiterzugeben. Seit 2004 befinde ich mich auf diesem Weg, auf dem ich erforsche, lerne, lebe und weitergebe, wie wir den Herausforderungen in unserem Leben auf eine Weise begegnen können, um mit uns selbst und mit unserer Mitwelt in Frieden, lebendig und erfüllt leben zu können.
Ich bin mit bald 20 Jahren der Beschäftigung damit, davon überzeugt, dass die grundlegenden Ursachen für unsere Probleme auf unserer Bewusstseinsebene liegen, also, wie wir in der Lage sind, unsere Aufmerksamkeit bewusst zu nutzen, um bewusst beobachten, denken, fühlen und handeln zu können. Dabei ist besonders das bewusste Fühlen noch häufig ein blinder Fleck, der uns viele Schwierigkeiten macht in unserem Leben und unserer Welt. Doch gerade mit einer schlechten Verbindung mit unserem Körper verlieren wir unseren Sinn für Lebendigkeit, Mitgefühl und Liebe, wodurch unser Verstand sein wirkliches Potential gar nicht entfalten kann und auf eine Weise von uns genutzt wird – oder wir von ihm – die viel Leid in unserem Leben und unserer Welt verursacht.
Bewusst wahrzunehmen, zu fühlen, zu denken und zu handeln ist noch immer kein selbstverständlicher Teil unserer Bildung und wir haben wenige Vorbilder, die es uns vorleben können. Dies ist eine Ebene, die wir im Vergleich zu den Entwicklungen im Außen wenig weiterentwickelt haben – obwohl sie unser Leben und Erleben in jedem Moment und Bereich unseres Lebens unmittelbar, tief- und weitreichend beeinflusst! Das vielleicht wichtigste, was ich auf meinem Weg gelernt habe ist, was für ein gewaltiges Potential wir in uns tragen, Frieden, Lebendigkeit und Liebe zu erfahren und aus uns heraus in die Welt zu tragen. Bewusstheit kann unser eigenes Leben und unsere Welt verwandeln!
Bewusstheit hat mein Leben verwandelt.
Ich war ein lebendiges Kind, hatte Vertrauen auch in mir fremde Menschen, Freundschaften und mit 12 Jahren meine erste „Freundin“. Ich war gut in der Schule und hatte Spaß daran, sollte eine Klasse überspringen, spielte Klavier und nahm an Jugend musiziert teil.
Ich kann nicht sagen, ob es einen klaren Bruch gab oder es eine stetige Entwicklung war, aber all das veränderte sich in meiner Jugend.
Obwohl ich als Jugendlicher und junger Erwachsener von außen meist eher als gut gelaunt, freundlich und hilfsbereit wahrgenommen wurde (was vielleicht auch daran lag, dass ich irgendwann gelernt hatte, zu lächeln, auch wenn mir eigentlich nicht dazu zu Mute war), ging es mir unter der Oberfläche oft nicht besonders gut. Es fiel mir leicht, oberflächliche Kontakte zu knüpfen, tiefere Beziehungen waren mir aber kaum möglich, weil ich mich unbewusst nicht liebenswert empfand und dadurch so unsicher war, dass ich mir zugeneigte Signale von Menschen nur selten Glauben schenken konnte und zeitweise meinem Gegenüber nicht einmal in die Augen blicken konnte oder dachte, ausgelacht zu werden, wenn mich jemand anlächelte. Ich erfuhr immer wieder Gewalt von anderen Kindern, Jugendlichen oder jungen Erwachsenen. Ich verlor meine Freude an der Schule, am Musikunterricht. Mich hinzusetzen und zu lernen wurde für mich zu einer Qual, die mich körperlich schmerzte. Ich machte die Erfahrung, wie unterschiedlich ich als „guter“ und „schlechter“ Schüler behandelt wurde – von Bezugspersonen, LehrerInnen und MitschülerInnen. Ein halbes Jahr vor dem Abitur musste ich wegen fehlender Leistung die Schule verlassen und meine Welt brach zusammen. Zwei Jahre verließ ich meine Wohnung kaum, ich erinnere mich an Zeiten, in denen ich mich vor inneren Schmerzen zusammengekrümmt in den Teppich krallte und spät nachts durch die Stadt irrte.
Ich erinnere mich daran, dass ich schon in meiner Kindheit viel Wut und Ohnmacht erfuhr, viel schrie und weinte. Auch später erlebte ich häufig sehr intensive Gefühle von Traurigkeit, Einsamkeit, Wut und Verzweiflung, war aber nicht bewusst mit meinen Gefühlen in Kontakt, sondern überwiegend mit „Gefühlsgedanken“, Emotionen und unbewussten Handlungsmustern verschmolzen, mit denen ich unbewusst versuchte, den Schmerz loszuwerden und die sich gegen mich und nach außen richteten. Über Gefühle zu reden, mich verletzlich zu zeigen, meine Gefühle in meinem Körper zu spüren, mit ihnen bewusst in Kontakt zu sein, war mir unbekannt. Ich litt seit meinem zweiten Lebensjahr unter einer schweren Hauterkrankung, fühlte mich lange sehr einsam und fand nicht viel Sinn und Lebendigkeit in meinem Leben, erlebte mich fremdbestimmt, fand Trost und Lebendigkeit oft am Leichtesten bei einer Reise durch analoge oder digitale fiktionale Welten.
2003 begann ich, mich bewusster damit auseinander zu setzen, was mir in meinem Leben wirklich wichtig ist, wer ich bin, was ich kann und brauche und in was für einer Welt ich lebe und leben will – worin ich selbst Sinn sehe. Ich beschäftigte mich mit Menschenrechten, Tierrechten und damit, wie wir Menschen mit uns selbst, miteinander und unserer Mitwelt umgehen. Das führte dazu, dass ich beschloss, vegan zu leben. Ich beschäftigte mich mit den Ursachen von Gewalt und Ungerechtigkeit und stieß dabei auf Widersprüche darin, was wir als Liebe und lieben bezeichnen.
Was bedeutet es, zu lieben und bin ich in der Lage wirklich zu lieben, wenn ich mich selbst nicht lieben kann, unabhängig meiner Leistungen und Fähigkeiten, einfach weil ich bin, weil ich existiere? Die fehlende Fähigkeit dazu, erkannte ich als eine Ursache für Leid in unserer Welt, denn wenn ich schon mich selbst nicht annehmen kann wie ich bin, wie soll ich dann andere annehmen, wie sie sind? Wenn mich bestimmte Leistungen, Fähigkeiten und Eigenschaften erst liebens- oder lebenswert machen, dann setze ich die auch bei anderen dafür voraus. Ich setzte mich damit auseinander, was es bedeutet zu lieben und begann, meine innere Haltung danach auszurichten und meiner Mitwelt und mir selbst gegenüber bewusst liebevollere Gedanken zu wählen.
Ich machte dadurch meine erste, über einige Wochen anhaltende, tiefe, heilende und erfüllende spirituelle Erfahrung. Mein Erleben verwandelte sich nach jahrelanger empfundener Sinnlosigkeit, auf eine zuvor nicht vorstellbare Weise ins Positive – nur indem ich meine innere Haltung veränderte! Ich erfuhr tiefe, bedingungslose Liebe und Verbundenheit, Lebendigkeit und Lebensfreude. Gleichzeitig wurde fehlende Selbstliebe für mich zu einer Hauptursache für fehlende Liebe, Ungerechtigkeit und Gewalt in unserer Welt.
Ich wollte unbedingt weiter und tiefer erforschen, wie wir unser Leben und unsere Welt verwandeln können, indem wir lernen zu lieben, uns selbst eingeschlossen! Wie wir unabhängiger von äußeren Umständen dafür sorgen können, dass es uns gut geht.
2007 kam ich mit Gewaltfreier Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg in Kontakt, machte seitdem mehrere Ausbildungen dazu. Dabei entwickelte ich eine wichtige Basis für mein eigenes Weiterforschen und Er-leben, indem ich lernte, klar beobachten und unterscheiden zu können, wirklich körperlich zu fühlen, Klarheit über meine wirklichen Lebens-Bedürfnisse zu gewinnen und mich tiefer in andere hineinversetzen und Lebendigkeit miteinander teilen zu können, was durch Erfahrungen mit Achtsamkeit später weitere Vertiefung erfuhr. Noch im selben Jahr begann ich, meine Erfahrungen und Erkenntnisse in Vorträgen und Kursen weiter zu geben, später auch Mediationen (Konfliktlösungen) und Lebensberatung anzubieten. Ich habe von vielen anderen LehrerInnen, Mitmenschen und dem Leben gelernt.
Über Jahre habe ich in Meditationen mein Bewusstsein erforscht. Nach einer Krebserkrankung mit zwei großen Operationen und Chemotherapie arbeitete ich über Monate hinweg besonders bewusst und ausdauernd daran, mit alten, noch nicht gefühlten schmerzvollen Gefühlen in mir in Kontakt zu kommen, sie zu verarbeiten und annehmend ganz zu fühlen, unstimmige Überzeugungen und Glaubenssätze in mir zu finden und zu transformieren. Ich habe gelernt, auch mit intensiven, schmerzhaften Gefühlen annehmend und bewusst in Kontakt zu sein, für sie in meinem Körper einen sicheren Raum zu halten und sie annehmend zu fühlen. Zu erkennen, dass ich denke und diese Gedanken nicht die Wirklichkeit sind, Beobachtungen von Deutungen, Bewertungen und Urteilen zu unterscheiden und sie stimmiger und in Einklang mit meinen Werten zu nutzen, in Verbindung mit den wirklichen Bedürfnissen hinter meinen Vorlieben und Abneigungen zu sein und mit mir selbst und meiner Mitwelt in liebevollerem, einfühlsamerem und lebendigerem Kontakt zu sein.
Bei meiner Bewusstseins- und Friedensforschung war mir von Beginn an wichtig, sowohl in der Weite als auch in der Tiefe das Wesentliche in allem zu finden, die wirklichen Ursachen zu erkennen und wenn nötig zu verändern, und mich nicht an der Oberfläche mit Symptom-Behandlung zufrieden zu geben und dabei von den Erfahrungen anderer, die ähnliche Wege gehen oder gingen, zu lernen. Mit der Zeit wurde dabei für mich immer wichtiger, dass meine Erkenntnisse nicht auf Glauben, sondern klaren Beobachtungen, Selbsterfahrung, Akzeptanz und Mitgefühl basieren. Orientiert habe ich mich in Momenten des Zweifels an der Frage: Was würde die Liebe tun?
Ich konnte auf diesem Weg vielen Herausforderungen bewusst und heilsam begegnen: vielen, immer wiederkehrenden schmerzvollen Gefühlen und Gedanken, Depression und Suizidgedanken, Einsamkeit und empfundener Sinnlosigkeit, schwierigen Beziehungskonflikten, einer schweren Krebserkrankung mit OPs und Chemotherapie, einer schweren Hauterkrankung, die mich seit meinem zweiten Lebensjahr begleitet hat, 2016 bis 2018 mein Leben nach jahrelanger stetiger Verbesserung noch einmal fast vollständig eingenommen hat und die ich seit 2019 in einem überwiegend heilen Zustand halten kann. Auf meinen Körper hörend und aus gesundheitlichen Gründen, ernährte ich mich von 2014 bis 2017 überwiegend rohköstlich und machte dabei ebenfalls spannende Erfahrungen.
In den letzten Jahren habe ich mich intensiv mit überwiegend neueren Therapieformen, die Arbeit mit Gefühlen und Achtsamkeit integriert haben, sowie Traumatherapien beschäftigt und dabei viele Gemeinsamkeiten und viele bereichernde Impulse gefunden und in meine Arbeit integriert. Vieles, was ich gelernt habe, finde ich heute auch in neueren Formen der Psychotherapie wieder, so beispielsweise in der ACT (Acceptance and Commitment Therapie), deren Wirkung in hunderten wissenschaftlichen Studien belegt wurde.
2015 ist mein Bewusstsein erwacht. Was das genau bedeutet, lässt sich nicht so leicht in Worte fassen. Im Grunde ist es ein Perspektivwechsel, der aus klarem Beobachten entsteht – und den ich ähnlich wie das Erwachen aus einem Traum erlebt habe, weswegen ich die Bezeichnung dafür ganz passend finde. Ich identifiziere mich nicht mehr, seltener oder weniger stark mit meinen Vorstellungen und Gefühlen, sondern erlebe mich überwiegend als Bewusstsein, in dem alles auftaucht, was ich erfahre.
Diese erlebte Unterscheidung zwischen meinem Selbst und den Bewusstseinsinhalten, die in mir auftauchen, hilft mir dabei, Gedanken und Gefühle als solche erkennen und annehmen zu können und bewusst mit ihnen in Kontakt zu sein. Klarer zu beobachten, statt zu urteilen und zu bewerten und meine Gedanken stimmiger zu nutzen. Angenehme Gefühle leichter und feiner wahrzunehmen und zu genießen und unangenehme und schmerzvolle Gefühle da sein zu lassen, anzunehmen, ganz zu fühlen, ihre Botschaften zu hören und ihre Kraft zu nutzen. Es hilft mir, mich selbst, das Leben und meine Mitwelt anzunehmen, wie es ist, auch wenn es nicht meinen Wünschen und Vorstellungen (beispielsweise vom Erwachen!) entspricht und aus dieser Annahme heraus bewusst zu sein und zu handeln. Es hilft mir, auch meine Mitwelt als dieses Bewusstsein zu erkennen und Verbundenheit, Verständnis, Mitgefühl und Liebe für sie zu empfinden. Es fällt mir leichter, gegenwärtig und dankbar zu sein und Frieden, Sicherheit, Lebendigkeit, Freude und Liebe zu erfahren.
Das Wort Erwachen wird heute in vielen Kontexten verwendet. Es bedeutet für mich nicht, keinen Herausforderungen mehr zu begegnen, keine unangenehmen Gefühle mehr zu erfahren, keine Fehler mehr zu machen oder erleuchtet zu sein. Es bedeutet vielleicht vor allem auf Basis klarer Beobachtungen und Akzeptanz, aus einer Erfahrung von innerem Frieden, Sicherheit, Lebendigkeit und Fülle heraus, den Fluss und die ständige Veränderung des Lebens anzunehmen und mehr in und aus der gegenwärtigen Wirklichkeit zu leben, als in Vorstellungen und Bildern aus der Vergangenheit. Es bedeutet Leichtigkeit, weil ich nicht mehr bestimmten Bildern entsprechen muss, an die ich meine Sicherheit und mein Glück gebunden habe. Das Leben und die Welt entsprechen nicht immer meinen Vorstellungen und Wünschen – und das kann schmerzvoll sein! Diesen Schmerz annehmen und mit ihm mitfühlend in Kontakt sein zu können, ohne daraus Leid entstehen zu lassen, offen und verletzlich zu sein, weiter und tiefer zu vertrauen, zu heilen und zu lieben, scheint mir eine wertvolle Kunst zu sein! In dieser Kunst übe ich mich weiterhin – der Weg ist nicht zu Ende! Und dabei öffnet sich der Raum für Lebendigkeit, Leichtigkeit und Lebensfreude!
Ich freue mich, wenn wir uns auf diesem Weg begegnen und ihn vielleicht ein Stück miteinander gehen!
Liebe und Dankbarkeit!
Martin