Unsere Gedanken sind ein faszinierendes Instrument: wir können durch sie Erfahrungen speichern und wieder abrufen, Beobachtetes gedanklich erfassen und dessen Eigenschaften in anderen Beobachtungen wiedererkennen, sie miteinander vergleichen, auf andere Gedanken übertragen. Wir können Zusammenhänge erkennen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede, Ursachen und Folgen. Wir können eigene Gedankenwelten schaffen, mit ihnen spielen, kreativ sein. Wir können Gedanken miteinander austauschen. Wir können uns mit ihrer Hilfe etwas vorstellen, was es nicht gibt. Und wir können mit ihnen Handlungen planen, die dazu führen, dass diese Vorstellungen Wirklichkeit werden.
Durch unser Denken sind wir in der Lage vielseitig schöpferisch und gestalterisch zu wirken. Wir können uns selbst und unsere Mitwelt bewusst und auf ein Ziel hinführend verändern. Dadurch sind wir mächtige, wandlungsfähige und verwandelnde Schöpfer und Gestalter.
Doch die Macht unserer Gedanken birgt auch Gefahren: unser Bewusstsein kann sich in ihnen verlieren, kann sich mit ihnen gleichsetzen. Wenn dies geschieht, ist unser Bewusstsein so in ihnen versunken, dass es glaubt, sie wären die Wirklichkeit. Es nimmt die Wirklichkeit, sich selbst und seine Mitwelt als Gedanken wahr – es träumt, ohne sich dessen bewusst zu sein. Unser ganzes System reagiert auf diese scheinbare Wirklichkeit als wäre sie real: sie bestimmt, ob und wie unsere Lebens-Bedürfnisse erfüllt sind und es entstehen die damit verbundenen angenehmen und unangenehmen Gefühle, die die Illusion von Wirklichkeit verstärken und ihrerseits Gedanken auslösen können. Von einem mächtigen und nützlichen Instrument werden unsere Gedanken zu einem System, das unsere Wahrnehmung, unsere Erfahrungen und unser Handeln kontrolliert. Wir glauben zu denken, doch statt dessen werden wir gedacht.
Die Illusionen, die unsere Gedanken hervorrufen, sind stark und nicht einfach zu durchschauen. Ist unser Bewusstsein mit ihnen identifiziert und hat es die von ihnen erschaffene Welt als real angenommen, hält es diese für die Wirklichkeit, die gegen Einflüsse von außen verteidigt wird. Die Gedankenwelt verteidigt sich und schirmt sich nach außen ab – oft ohne dass wir dies bewusst mitbekommen. Denn wenn unser Bewusstsein glaubt, es wäre mit den Gedanken identisch, ist es kaum in der Lage sie grundlegend zu hinterfragen, denn damit würde es sich selbst in seiner vermeintlichen Existenz bedrohen.
Je mehr unser Bewusstsein – unsere Aufmerksamkeit – vom Denken eingenommen ist, desto weniger ist es in der Lage, die Wirklichkeit selbst direkt wahr zu nehmen, denn Gedanken sind kein Wahrnehmungsinstrument. Wir nehmen so die Wirklichkeit über Deutungen und Vorstellungen „wahr”. Wenn wir uns dessen bewusst sind und in der Lage, die Wirklichkeit unabhängig unserer Gedanken zu beobachten, können wir selbst wählen, an welche wir glauben wollen und sie überprüfen und anpassen. Sind wir uns dessen aber nicht bewusst und haben nicht gelernt, bewusst zu beobachten, halten wir die Gedanken-Gebilde für die Wirklichkeit selbst. So kann unsere Vorstellung von uns selbst und unserer Mitwelt aus verfälschten, fehlgedeuteten, verallgemeinerten und von anderen übernommenen, vielleicht schon generationenalten Bildern bestehen, die uns selbst und unserer Mitwelt schaden.
Durch die Konzentration auf unsere Gedanken nehmen wir unsere Sinneseindrücke und die feinen Signale unserer Gefühle nicht direkt und unverfälscht wahr. Wir sind dadurch nicht in der Lage, die Wirklichkeit selbst zu beobachten, wir sind nicht mit der Lebendigkeit in uns und unserer Mitwelt verbunden, wir sind nicht empathisch. Wir glauben an die in uns entstehenden Gedanken – auch wenn sie nicht die Wirklichkeit abbilden und uns und unserer Mitwelt schaden. Ursprünglich können sie unserem Schutz gedient haben, doch wenn wir sie festhalten, bedrohen sie irgendwann unsere Freiheit und Lebendigkeit. Wenn wir mit ihnen identifiziert sind, werden wir von ihnen kontrolliert und beherrscht, ohne uns dessen bewusst zu sein. Sie verteidigen sich mit Intelligenz, Geschicklichkeit und Kreativität. Die Wirklichkeit ist in ihrer Logik eine Bedrohung.
Erst wenn das Leid, das durch den Glauben in die Gedankenwelt und unsere Identifikation mit ihr entsteht, größer wird, als das empfundene Leid, vor dem es uns scheinbar schützt – und wir die Ursache für das Leid nicht mehr im Außen sehen, sondern in unserer inneren Gedankenwelt selbst – haben wir die Möglichkeit, uns durch Beobachtung unserer Gedanken als nicht mit ihnen identisch zu erkennen, zu unserem reinen Bewusstsein zu erwachen und unsere Gedanken wieder bewusst, als Schöpfungs- und Gestaltungsinstrument zu nutzen.